Die Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung von 1859 erhält 2020 Gisela von Wysocki. Der Anke Bennholdt- Thomsen Lyrikpreis 2020 geht an Kerstin Preiwuß und die Ehrengabe der Viehof-Stiftung an Sherko Fatah

Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung von 1859 (10.000 Euro)

Gisela von Wysocki, geboren 1940, erhält 2020 die Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung von 1859. Im Jahr 2016 sorgte Gisela von Wysocki mit ihrem autobiografisch gefärbten Roman Wiesengrund für Furore. In der literarisch dichten Annäherung an Theodor W. Adorno zeigt sich ihr ganzes Können als Erzählerin. Die Art und Weise, wie sie die politisch aufgeladene, intellektuell stimulierende, aber auch bedrückend-einengende Atmosphäre im Frankfurt der frühen 60er-Jahre einfängt; wie sie die Wirkungsmacht dieses charismatischen Denkers am konkreten Beispiel einer weiblichen Bildungsgeschichte beschreibt; wie sie ihn gleichzeitig ver- und entzaubert, ist schlicht meisterhaft – und höchst unterhaltsam. Für viele Leser war der Roman die erste Begegnung mit der Autorin. Dabei blickte sie zu dieser Zeit bereits auf ein Lebenswerk zurück. Seit vier Jahrzehnten beschäftigt sich Gisela von Wysocki u.a. mit Fotokunst, Musik und Körperbewusstsein. Aus ihrer Feder stammen Hörspiele, Theaterstücke, Essays, ihren ersten Roman legte sie mit 70 Jahren vor (Wir machen Musik«, 2010). Die Deutsche Schillerstiftung würdigt mit der Ehrengabe nicht nur ein Werk, sondern auch die sich darin aussprechende Haltung: Lange bevor es dafür Resonanz in den Medien und Programmplätze in den großen Verlagen gab, rückte sie in ihren biografischen Essays Frauen in den Blick, die den für sie begrenzten Raum durchbrachen (Die Fröste der Freiheit. Aufbruchsphantasien, 1980). – Die Laudatio bei der Preisverleihung wird Hubert Spiegel halten.

Anke Bennholdt-Thomsen-Lyrikpreis (10.000 Euro)

Kerstin Preiwuß, geboren 1980, erhält den Anke Bennholdt-Thomsen-Lyrikpreis. Mit ihren drei bisher erschienenen Lyrikbänden hat sie sich ein ganz eigenes Feld erschrieben. Allen Bänden gemeinsam ist das Interesse an der Verschränkung von Sprache und Körper, sind Liedhaftigkeit, Formbewusstsein und eine kunstvolle Einfachheit in der sprachlichen Gestaltung. Im Debüt Nachricht von neuen Sternen (2006) begibt sie sich auf die Suche nach dem, was überdauert und schlägt dabei einen großen Bogen von mythischen Überlieferungen bis in die Jetztzeit. Das Langgedicht Rede (2012) erzählt in atemlosem Rhythmus vom Sprechen als innerer Notwendigkeit, von Häutungen, Verwandlungen und der Begegnung mit dem Tod. Im Jahreszeitenzyklus Gespür für Licht (2016) dagegen setzt sie sich nicht mit dem Ende, sondern mit dem Beginn eines Lebens auseinander – auch damit, wie das Neue in die Welt kommt. Die in Rostock aufgewachsene Kerstin Preiwuß lebt mit ihrer Familie in Leipzig. Sie schreibt nicht nur Lyrik, sondern auch Prosa, arbeitet als Dozentin, ist Mitglied des PEN und war für einige Jahre Mitherausgeberin der EDIT.

Eugen Viehof-Ehrengabe (7.500 Euro)

Sherko Fatah, 1964 als Sohn einer ostdeutschen Mutter und eines irakischen Vaters geboren, in Berlin, Irak und Wien aufgewachsen, ist einer der interessantesten interkulturellen Autoren. 2001, im Jahr der Anschläge auf das World Trade Center, erschien sein erster Roman Im Grenzland. Ein Titel mit Ansage: Denn in diesem wie in den folgenden fünf Romanen bewegt sich Fatah als Grenzgänger zwischen Abendland und Morgenland. Seine Figuren flüchten im »dunklen Schiff« aus der irakischen Provinz nach Berlin oder andersherum, sie kommen als Forschungsreisende in den Irak oder gelangen als Entführungsopfer von Gotteskriegern an den »letzten Ort«. Ihre Geschichten sind imprägniert von Erfahrungen durch Gewalt und Verletzungen, sie bezeugen die fatale Verquickung von Krieg und Religion in den Krisenregionen des Nahen Ostens und zeigen eine kaum zu überbrückende Fremdheit der Lebenswelten. Persönliche Grenzsituationen, grausame moralische Konflikte werden illusionslos und sich aller Wertungen enthaltend gezeigt. So ist der kulturelle Grenzraum auch immer einer der Grenzen des Verstehens, vielmehr einer, in der Leserinnen und Leser ein fatales oder tragisches Nicht-Verstehen erfassen können. Das ist eine Leistung, die durch die politischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte von Buch zu Buch an Wichtigkeit gewonnen hat. Fatah hat ein im besten Sinne aufklärerisches Werk geschaffen, das 2019 mit der Ehrengabe der Eugen Viehof-Ehrengabenstiftung ausgezeichnet wird.

Die Verleihung erfolgt am 15. Mai 2020 in Weimar. Mit allen Entscheidungen folgte das Kuratorium der Deutschen Schillerstiftung von 1859 dem Votum ihrer Jury (Katrin Lange, Helge Pfannenschmidt, Stefanie Stegmann, Hubert Spiegel, Antje Weber).